Jetzt ist es doch passiert

avaloq ist verkauft. An NEC! An wen? NEC Corporation aus Japan. Hmmmm, ok?!

 

Damit konnte man nicht rechnen. Oder doch? Der Leidensweg zum Ausstieg der Altgesellschafter ist lang. Dann bekommen auch Außenseiter eine Chance, wenn die Favoriten nicht interessiert sind oder der Preis nicht stimmt. Schauen wir uns das mal näher an.

 

Ich habe in einem Blogbeitrag avaloq neben FNZ als einen neuen Herausforderer für die alteingesessenen Software- und BPO-Anbieter in Deutschland dargestellt. Das überlege ich mir jetzt noch einmal. Aber dazu später.

 

Wie alles begann

 

Unscheinbar. Als Software-Spin-off einer kleinen Bank in der Schweiz. Schwerpunkt Wealth Management.

 

Dann wurde sehr zügig die Marktführerschaft für Bankensoftware in der Schweiz erreicht. Respekt! Die Lösung muss etwas taugen, ansonsten wäre das nicht möglich gewesen. Der letzte Baustein dazu war das Projekt mit der Raiffeisen-Gruppe (Arizon), ein Monster von einem Projekt. Damit hatte sich avaloq in der Schweiz quasi totgesiegt. 

 

Aber was nun? Wenn man im eigenen Land nicht wachsen kann, dann gibt es nur zwei Lösungen:

 

  1. Das gleiche noch einmal in anderen Ländern (Horizontalisierung)
  2. Die Wertschöpfungskette (im Heimmarkt) vertikalisieren.

 

avaloq machte beides.

 

Vertikalisierung

 

Da war zunächst die sehr kluge Idee in Richtung IT-Betriebsthemen (neumodisch SaaS) zu gehen. Die Akquisition der B-Source aus Lugano war die Folge. Dieser Schritt zeigte aber auch eine weitere Neuerung: Wachstum anorganisch ist auch eine Option. Nicht selbst aufbauen, sondern etwas kaufen und weiterentwickeln.

 

Eine andere Vertikalisierung war die Entwicklung eines eigenen Online Banking, das man oben auf die Software draufsetzte, damit die Kunden auch „selbst tun“ konnten. Diesmal organisch. Dabei wurde an dieser Stelle sehr viel Porzellan in der Schweiz zerschlagen, weil avaloq mit dieser Aktivität seinen bisherigen „Partner“ Crealogix für das Online Banking ziemlich vor den Kopf gestoßen hat. Das war schon eine Art Kriegserklärung in der sonst durchaus harmoniegeprägten Eidgenossenschaft.

 

Horizontalisierung

 

Die Horizontalisierung fand parallel zur Vertikalisierung statt.

 

Es wurden Kunden im Ausland gewonnen. Große Projekte! Der erste war Royal Bank of Scotland mit einem Projektvolumen von größer 150 Mio. Franken. Das war 2010. Der nächste große Deal war dann wohl BT Financial Group in Australien um 2013 herum.

 

Neben dem Gewinnen von neuen Kunden im Ausland folgte man auch einfach den bestehenden. Schweizer Banken sitzen ja mit ihren Niederlassungen auch an anderen Orten auf dieser Welt, z.B. in Singapur. Da diese Schweizer Banken stark auf Wealth Management fixiert sind, wird dort natürlich auch avaloq gebraucht.

 

Die Länderspreizung war schon bemerkenswert. Die Projektstandorte sahen etwa so aus, als ob man eine Perlenkette auf eine Weltkarte geworfen hätte. Jede Perle ein Projekt. Länderspezifische Strategien waren nicht erkennbar.

 

Das hat sich ein bisschen geändert. Wenn man den Markt Asien oder Südostasien als Länderstrategie akzeptiert.

 

Manchmal hatte man den Eindruck die Internationalisierung ist wie eine Sucht nach immer größeren und riskanteren Projekten.

 

Fakt ist aber auch, dass gerade im Bankenumfeld Einzelprojekte in Ländern immer den Nachteil haben, dass man dafür die ganzen regionalen Besonderheiten wie Steuern, Meldewesen etc. einbauen und warten muss. Bei einem Kunden in einem Land ist das tendenziell nicht wirtschaftlich. Regionale Besonderheiten skalieren nur bei mehreren Kunden in einem Land. Ich denke, dass die Wirtschaftlichkeit von avaloq auch darunter leidet, dass die Perlenkette bisher nicht skaliert.

 

Deutschland

 

In Deutschland kann man erkennen, dass man hier auch am Modell Schweiz arbeitet: Die Zusammenarbeit mit diversen Banken im Umfeld von Quirin wurde unterlegt mit der Akquisition der Höll-Gruppe, da diese Banken alle das System ITREXS von Höll nutzten, was dann von avaloq in einem ambitionierten Projekt abgelöst wurde. Zudem werden BPO-Services für diese Kunden angeboten. Die Plattform ist da.

 

Allerdings ist das Bild jetzt wieder ein wenig zerfranst, weil der jüngste avaloq-Kunde apobank nicht in diese Plattformwelt integriert ist. Das BPO für apo ist auch separiert. Aber zumindest technisch will avaloq das ändern. Die beiden Softwarewelten für Quirin und andere und für die apobank werden wohl auf Sicht zusammengeführt. Das wird sicherlich schmerzhaft, weil die Zielplattform wohl die apobank-Plattform ist. Aber nachvollziehbar. Apobank nach der ruckeligen Einführung direkt wieder mit einer Migration zu kommen, wäre fatal.

 

Warburg Pincus (WB)

 

Kommen wir zum parallel immer aktuellen Thema der Weiterentwicklung der Firma avaloq und der Monetarisierung des Erfolgs.

 

In den 2010-Jahren war avaloq immer ein gutes Thema für Gespräche oder einfach nur Tratsch. Sei es das Auto von Herrn Fernandez, sei es die Unverfrorenheit im Vertrieb von avaloq, sei es das Vor-den-Kopf-stoßen von Partnern, sei es die Zukunft von avaloq im Allgemeinen.

 

Das Thema der Zukunft von avaloq wurde immer mit der persönlichen Lebensplanung des CEO Fernandez (F.) in Verbindung gesehen. Viele waren der Meinung, dass F. avaloq so weit entwickeln will, dass die Firma einen Wert von 1 Mrd. CHF hat und er dann verkaufen kann. Nicht des Geldes wegen, sondern weil die Schaffung eines Wertes von 1 Mrd. CHF aus dem Nichts in dieser Branche schon eine Leistung ist. Und das ist gut für das Ego und für die Sicht der Nachwelt.

 

Da kam es 2017 etwas überraschend, dass Warburg Pincus 35% der Anteile von avaloq für 350 Mio. CHF übernahm. Böse Zungen meinten: Na, dann hat F. ja die Bewertung von 1 Mrd. CHF erreicht. Dann ist ja jetzt alles gut.

 

Aber was war die innere Logik dieses Deals? Es war schon komisch, weil der Einstieg von Warburg Pincus nicht als Kapitalerhöhung umgesetzt wurde, um die Firma zu stärken für ein weiteres Wachstum. Nein. Die Altaktionäre gaben 35% ab. Das bedeutet, dass die Altaktionäre sich Cash in die Tasche gesteckt haben. avaloq selbst hat davon nichts gesehen.

 

WB hat wohl gedacht, dass man die 350 Mio. CHF über einen Exit oder Börsengang in ein paar Jahren rentierlich wieder zurückbekommt und in der Zwischenzeit gute Dividenden erzielt.

 

Neue Lage

 

Das war wohl nicht der Fall. Ende 2019 hatte wohl WB die Nase voll und wollte eine Veränderung. Ein Verkaufsprozess und/oder Börsengang wurde ins Auge gefasst und beauftragt.

 

Die Corona-Pandemie war dabei nicht hilfreich.

 

Kolportiert wird, dass die gewünschten Interessenten (Google, Apple) nicht ansprangen. Klingt für mich auch logisch: Was sollen die mit einem IT-Dienstleister für Banken. Die wollen, wenn es hoch kommt, Banken übernehmen.

 

Wenn die Top-Interessenten nicht anspringen, dann kommen die Interessenten aus der zweiten Reihe dran und dort ist dann der Preis entscheidender und nicht die strategische Passung.

 

Es hätte dort aber auch passende Partner gegeben. IBM, HP oder auch Accenture. Mit denen hätte man vielleicht nicht so gut Asien angehen können, aber Nordamerika. Aber die wollten wohl auch nicht. Warum auch immer.

 

Der Deal

 

So muss man den Deal mit NEC dann wohl auch lesen: Wirklich passende Kandidaten griffen nicht zu. Dann eben den, der am meisten bezahlt.

 

Strategische Passung ist bei avaloq und NEC nicht zu erkennen. Was verspricht sich avaloq als Leverage von NEC? NEC verkauft vielleicht auch in Banken hinein, aber an einer vollkommen anderen Stelle. Auch technologisch sehe ich keine Synergien. NEC baut Spezialtechnologie für Flughäfen, Computerchips, Displays. Das ist verdammt weit weg von Oracle, C++, der Berechnung von Steuern auf Investments und auch von den digitalen Anforderungen an das Wealth Management von morgen.

 

2,05 Mrd. CHF für eine schwache strategische Idee. Was treibt NEC, das zu tun? NEC geht es nicht schlecht. Der Aktienkurs ist seit 5 Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch Corona war nur eine Delle. Also was?

 

Ein bisschen unbegreiflich: NEC kauft sich mit avaloq 2% Umsatz dazu. Das würde man nur tun, wenn man diese 2% aus ihrer Irrelevanz zügig herausführt zu ca. 10%. Das würde aber bedeuten, dass NEC daran glaubt, dass avaloq ein Potential von ca. 3 Mrd. CHF hat (inklusive Cross Selling für NEC).

 

Das halte ich für ausgeschlossen. Nehmen wir mal an, dass dieses Ziel in 10 Jahren erreicht werden soll (was ich schon für sehr kollegialen Zeitraum halte), dann müsste avaloq jedes Jahr ca. 200-250 Mio. CHF zusätzlichen – überwiegend sockelwirksamen – Umsatz (inklusive Cross Selling)  dazu gewinnen. Bei aller Liebe: Das wäre überambitioniert.

 

Die Prognose

 

Für NEC wird dieser Ausflug in die Welt der Banken-Services mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit kein guter Move werden. avaloq ist zu weit weg vom heutigen Business und viel zu klein, um NEC weiter zu helfen bei Umsatz und Ertrag.

 

avaloq stört das nicht besonders. Die Eigentümer haben den absurden Betrag von 2.050.000.000 CHF eingesackt. Und die avaloq-Karawane zieht einfach weiter, als wenn nichts gewesen wäre.

 

Allerdings ist zu erwarten, dass sich der Schwerpunkt des Interesses nun endgültig in Richtung Fernen Osten verschiebt. avaloq wird sich stark auf Asien fokussieren. Ob Europa dann noch die Aufmerksamkeit erhält, die es braucht, steht in den Sternen. Für die Customer Base in Europa ist das keine gute Nachricht. Ich gehe sogar so weit, dass die Herausforderer-Rolle von avaloq für den Ausbau eines zielführenden im Bereich Wertpapier in Europa (und in Deutschland) einen Dämpfer erhält, weil der Fokus jetzt klar auf den Big Points in Asien liegt. Das wird auch FNZ freuen.

 

 

 

Siehe auch:

 

https://de.wikipedia.org/wiki/NEC_Corporation

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Avaloq#cite_ref-11

 

https://www.finews.ch/news/banken/35083-raiffeisen-avaloq-arizon-it-plattform-uebernahme-joint-venture

 

https://www.computerworld.ch/business/forschung/avaloq-uebernimmt-b-source-komplett-1340400.html

 

https://www.computerworld.ch/business/e-business/blkb-ersetzt-crealogix-avaloq-1334316.html

 

https://www.finews.ch/news/finanzplatz/11831-avaloq-bt-financial-btfg

 

https://www.inside-it.ch/de/post/royal-bank-of-scotland-geht-teilweise-auf-avaloq-20100430

 

https://www.finance-magazin.de/deals/ma/warburg-pincus-steigt-mit-330-millionen-euro-bei-avaloq-ein-1399821/

 

https://www.finews.ch/news/banken/38707-avaloq-warburg-pincus-verkauf-ipo

 

https://www.handelszeitung.ch/bilanz/wie-software-konig-francisco-fernandez-sich-neu-erfand

 

https://www.finews.ch/news/finanzplatz/41809-avaloq-warburg-pincus-streit-francisco-fernandez-verkauf