Compliance scheint bei Finanzdienstleistern nicht durchsetzbar

Märkte sind gut

 

Gott sei Dank basiert unser Wirtschaftssystem auf einer marktorientierten Organisation. Man kann immer darüber diskutieren, wie liberal oder beschränkt Märkte sein müssen. Man kann auch darüber diskutieren, ob man den Immobilienmarkt anders organisieren muss als den Markt für Strandkörbe.  Man kann auch darüber streiten, ob es sinnvoll ist, bestimmte Dinge überhaupt über Märkte zu organisieren, z.B. Gesundheit.

 

Märkte mit Wettbewerb auf beiden Marktseiten versagen eigentlich nie, wenn es ausschließlich um Effizienz geht. Sie liefern gute Preise und eine gute Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Eigentlich.

 

Unser Weltbild ist da aber in den letzten Jahren schwer ins Wanken gekommen.

 

Der Mensch ist schlecht

 

Menschen haben die Neigung, den jeweils anderen „übers Ohr zu hauen“.

 

Hand aufs Herz: Wer erzählt einem potenziellen Käufer alle Macken am gebrauchten Auto, wenn er es verkaufen will? Ich denke, das ist eher die Ausnahme. Als Korrektiv für diese taktischen Kinkerlitzchen gehört es eigentlich beim Käufer dazu, dass er dem Verkäufer per se misstrauisch gegenübersteht.

 

Menschen haben weiterhin die Neigung ungesund ehrgeizig und/oder gierig, manchmal schlicht kriminell zu sein. Das wird immer dann problematisch, wenn es zu Lasten anderer geht.

 

Ein immer noch lebendiges Beispiel dafür ist der Fall des Alexander Falk. Der Erbe des Falk-Verlags hat im ersten Schritt etwas Richtiges getan: Er hat den Falk-Verlag 1996 verkauft. Das war weitsichtig (wer nutzt noch Stadtpläne aus Papier im Internet-Zeitalter?). Doch es war auch der Ehrgeiz etwas Großes zu gestalten. Mittlerweile kann man robust behaupten, dass es kranker Ehrgeiz war. Bei der Übernahme der ISION durch Falk 1999 und deren Börsengang war ja noch alles halbwegs ok. Aber auch da war schon von Manipulationen die Rede.

 

Als dann der Neue Markt anfing zur Besinnung zu kommen (2000) und die Kurse purzelten, war auch die ISION davon betroffen. Zuviel für den erfolgsverwöhnten Falk. Das Problem wurde in zwei Schritten „kreativ“ gelöst. In einem ersten Schritt wurden die Umsätze manipuliert, um Kurspflege zu betreiben, und im zweiten Schritt wurde das Unternehmen – auch basierend auf den manipulierten Umsätzen – auf den letzten Drücker des Hypes für einen irren Preis verkauft. Das kam nicht gut. Die manipulierten Umsätze blieben nicht verborgen und wurden auch als Betrug gewertet. Das Thema Falk ist bis heute nicht abschließend geklärt, aber Falk war im Gefängnis und muss Schadenersatz im Multimillionen Euro-Bereich an den Käufer der ISION zahlen.

 

Kurz zusammengefasst: Märkten fehlt oft der moralische Kompass durch die Unzulänglichkeiten der Marktteilnehmer. Um ein Funktionieren von Märkten zu gewährleisten, muss man also dafür sorgen, dass Märkte gut organisiert sind und – insbesondere – die menschliche Defizite ausgeglichen werden. Deshalb werden fast alle Märkte in irgendeiner Form reguliert. Alle schimpfen darüber, dass alles so bürokratisch ist. Aber die meisten bürokratischen Friktionen haben einen Hintergrund. Und oft ist der Hintergrund, unfaire Märkte zu verhindern.

 

Finanzdienstleister als Paradebeispiel

 

Es ist zweifellos so, dass auch Finanzdienstleistungen in einem marktorientierten System organisiert sind. Es gibt hier einen sehr intensiven Wettbewerb und sehr wählerische Kunden. Aber das System hat die gleichen Defizite wie oben angesprochen.

 

Die menschlichen Defizite sind Legion. Das jüngste Beispiel Wirecard ist ein Paradebeispiel dafür. Ehrgeiz führte zu krimineller Energie und zur Schädigung einer Menge Menschen, die denen vertraut haben. Man könnte noch zig Beispiele anbringen.

 

Es ist wirklich bemerkenswert, dass die Versuchung des Profits immer größer zu sein scheint, als die Befriedigung durch Wohlverhalten.

 

Das Imperium schlägt zurück

 

Im Finanzdienstleistungsbereich reagieren der Staat oder supranationale Organisationen besonders heftig, wenn der Markt versagt. Aufgrund der langen Historie von Problemen ist die Regulierung auf nationaler, regionaler und weltweiter Ebene ist für einen Normalsterblichen nicht mehr wirklich nachvollziehbar.

 

Mittlerweile hat man den Eindruck die Finanzdienstleister sind in einem Netz von Regeln gefangen, das es kaum noch erlaubt, dass sie sich bewegen. Jede gute Idee wird durch die Regulatorik zäh wie Kleister.

 

Und dabei trifft es nicht nur die böse Buben, sondern alle. Auch die Redlichen.

 

Der Feind im eigenen Haus

 

Und das Skurrile ist, dass der „Konflikt“ durch den Regulator auch in die Finanzdienstleister selbst hereingetragen wird. Die Banken haben ihre Compliance-Abteilungen stark erweitern müssen. Diese sollen die Probleme verhindern helfen.

 

Compliance-Abteilungen kontrollieren nicht nur die Compliance bei bestehenden Geschäften, sondern sprechen auch mit bei neuen Ideen (NPP – Neue-Produkte-Prozesse). Ohne einen abgeschlossenen NPP geht eigentlich keine Idee an den Markt.

 

Das hat zu einem Gleichgewicht des Schreckens geführt: Die Compliance steht quasi den operativ Verantwortlichen auf Augenhöhe gegenüber. Das fliegen manchmal die Fetzen, wenn die „Bedenkenträger“ auf die treffen, die die Geschäfte machen müssen.

 

Damit ist wenigstens gewährleistet, dass potentielle Probleme strukturiert auf den Tisch kommen. Aber was für ein Aufwand. Man denke sich einmal 80% der Compliance-Arbeiten weg (und 80% der Rechtsabteilungen, die Verfehlungen juristisch abarbeiten müssen). Was für eine Erleichterung bei den Kosten wäre das?

 

Das Problem scheint unlösbar

 

Dennoch scheint selbst dieses enge interne und externe Netz aus Prüfern nicht auszureichen, um für Compliance zu sorgen. Die Findigkeit fragwürdige Geschäfte trotz dieses Netzes aus Regularien zu definieren oder einfach nur die Regeln auszuhebeln ist weiterhin ungebrochen.

 

Finanzdienstleister kollidieren immer wieder mit den Erwartungen an rechtlicher und moralischer Compliance.

 

Das Schlimme ist, dass das dazu führen wird, dass die Spielräume immer enger werden. Die Kostenbasis für die Überwachung der Compliance werden zu einem immer größeren Mühlstein. Und die Finanzdienstleister sind auch noch selbst schuld, weil sie die Regulatoren immer wieder provozieren.

 

Es wird spannend bleiben, wie eine große Industrie mit ihren schwarzen Schafen in Zukunft umgeht. Optimistisch kann man nicht sein, wenn man die Vergangenheit sieht. Leider.

 

Siehe auch:

 

https://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-261046.html

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/alexander-falk-millionenerbe-kartenkoenig-betrueger-a-00000000-0002-0001-0000-000171875102

https://de.wikipedia.org/wiki/Three-Lines-of-Defense-Modell

http://www.die-bank.de/news/wenn-banken-neuland-betreten-946/

https://www.zeit.de/campus/2016/06/compliance-wirtschaftsrecht-jura-korruption-betrug-ansehen

https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article214068305/Deutsche-Bank-400-neue-Mitarbeiter-fuer-Compliance-Abteilung.html