Deutschland, das gelobte Land für IT-Business?

 

Wenn man als IT- oder Software-Unternehmen auf Deutschland schaut, dann ist das ein attraktives Land, um Geschäfte zu machen. Das Land ist reich und hat eine Menge Einwohner.

 

Bei Finanzdienstleistungen wird es dann noch besser: Neben den reichen und vielen Einwohnern gibt es auch viele Banken. So irgendwo zwischen 1.200 und 1.500. Das ist sehr ungewöhnlich. In Frankreich kommt man auf irgendwo um die 30. Und das ist hoch gegriffen. In den Niederlanden kommt man auf 40, aber da sind auch die sehr kleinen schon dabei. Auch im Mutterland des Banking, Italien, kommt man auf ungefähr 30.

 

Da sind mehr als 1.000 doch mal ein Wort. Da muss doch Raum sein für gute Geschäfte.

 

Das klingt jetzt wirklich sehr simpel. Aber es ist manchmal so einfach. Wenn ein nicht-deutsches IT-Unternehmen Geschäfte mit Banken machen will, dann sieht der Markt auf den allerersten Blick hochattraktiv aus.

 

Natürlich schauen die Unternehmen dann noch etwas genauer hin, aber der erste Eindruck bleibt nachhaltig haften: Da muss was gehen. Das ist sehr oft ein Irrtum.

 

Banking is local

 

Warum gibt es kein weltweites „SAP“ für Banken. In aller Kürze: Banking ist zwar ein globales Business, aber muss pro Land lokal organisiert werden. Erklären Sie einem Franzosen mal, was eine Bausparkasse ist. Erklären Sie einem Briten mal, was Abgeltungssteuer ist. Erklären Sie einem Deutschen, wie ein britischer ISA funktioniert. Erklären Sie einem Amerikaner mal, warum es eine Postbank gab und gibt.

 

Produkte, Organisation, Historie, kulturelle und rechtliche Eigenheiten lokalisieren das Bankgeschäft und machen es erforderlich sich pro Land immer wieder separat aufzustellen. Man kann sagen: Banking skaliert nicht überregional.

 

Das gilt dann auch für IT-Unternehmen, die Banken zu ihren Kunden zählen. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Geldautomaten sind weniger lokal als Meldewesensoftware. RZ-Dienstleistungen sind weniger lokal als BPO für Wertpapierabwicklung.

 

Das bedeutet aber auch, dass ein Unternehmen, das nach Deutschland will, keine großen Effekte aus seiner Erfahrung außerhalb Deutschlands ziehen kann. Die meisten wissen das auch. Theoretisch. In der Praxis wird das aber meistens verdrängt.

 

Im Übrigen gilt das für uns Deutsche auch: Wenn wir ins Ausland gehen, dann haben wir auch häufig Probleme zu begreifen, dass ein anderes Land auch anders tickt als wir.

 

Diese lokale Ausprägung von Finanzdienstleistungen ist vordergründig nur eine Einschränkung der Attraktivität. Aber es ist – vielmehr – eine echte Hürde.

 

Die quälenden Prozesse von Unternehmen nach Deutschland zu kommen sind Legion. Woran liegt das?

 

Deutschland ist ein Scheinriese

 

Kommen wir zurück zu den mehr als 1.000 Banken. Das sieht riesig aus. Aber alte Vertriebsfüchse wissen, dass 1.000 potenzielle Kunden an sich kein Wert sind. Sie müssen auch adressierbar sein. Das bedeutet, sie müssen das realistisches Potential haben, dass sie auch kaufen können.

 

Das ist für einen Großteil der über 1.000 Banken aber gar nicht der Fall. Sparkassen und Genobanken sind ja bezüglich IT weitgehend abhängig von ihren konzerninternen Dienstleistern. Bei vielen Themen kann man mit diesen Banken gar nicht sprechen, geschweige denn Verträge abschließen.

 

Umgekehrt wäre es natürlich genial, wenn einer der Dienstleister dieser Banken ein Produkt eines Unternehmens in sein Portfolio aufnehmen würde. Dann hätte man sofort flächendeckende Wirkung. Das Problem dabei ist, dass diese Dienstleister in ihrem Selbstverständnis alles besser können als andere. Sie sind in den meisten Themen überzeugte Eigenfertiger. Sie leiden an dem Not-invented-here-Syndrom.

 

Der große Markt Deutschland ist durch seine mannigfaltigen Friktionen ein Scheinriese.

 

Budgetrestriktiv

 

Selbst, wenn man die Sparkassen und Genobanken mal weglässt, dann ist der Markt immer noch sehr friktional. Die Privatbanken zum Beispiel sind traditionell eher budgetrestriktiv, wenn es um IT geht. Ein 20 Millionen Euro-Projekt ist eher unüblich.

 

Deshalb hat es auch sehr lange gedauert, bis avaloq ein wirklich relevantes Projekt in Deutschland gewinnen konnte (apobank). avaloq ist ja nicht dafür bekannt seine Produkte zu verschenken und Projekte schlank abzuwickeln.

 

Deutschland ist ein Land des Preiskampfes. Preiswert ist immer das beste Argument. Das ist aber nicht nur Geiz, sondern auch wirtschaftliche Notwendigkeit. Deutsche Banken sind nicht auf Rosen gebettet. Deshalb macht es dann von Anfang an keinen Spaß, wenn man als IT-Unternehmen nach Deutschland kommt. Geld verdienen ist schwer.

 

Gute Ideen suchen guten ROI

 

Auch zu den wirtschaftlichen Restriktionen, aber mehr zu einem merkwürdigen Mind Set, zählt ein anderer Punkt: die Investitionsrechnung bei Veränderungen.

 

Wenn jemand ein gutes Thema hat und der potenzielle Kunde das auch gut findet, weil es ihn besser, schneller und kostengünstiger macht, dann ist noch lange keine positive Entscheidung getroffen. Das ist auch richtig so. Man muss auch die Frage stellen, was es denn kostet, dahin zu kommen.

 

Im Banken-Sprech sind das die Entscheidungskriterien „Run-the-Bank“ (RTB) und „Change-the-Bank“ (CTB) und der daraus berechnete Return on Invest (ROI). Mit RTB sind die Merkmale, in der Regel die Kosten, gemeint, um das betroffene Geschäft am laufen zu halten, mit CTB der Aufwand, um zu einem neuen RTB zu kommen.

 

Der Unterschied zwischen alten und neuem RTB ist dann der positive Effekt der Veränderung.

 

In einer Investitionsrechnung muss dieser positive Effekt der Veränderung jetzt verglichen werden mit dem Aufwand für diese Veränderung, also mit CTB. CTB ist in der Regel ein Vielfaches des RTB-Effekts. Wenn er dreimal so hoch ist, dann ist der ROI 3 Jahre (Abzinsung und solche Sachen vernachlässigen wir mal).

 

Der ROI ist der entscheidende Faktor für eine gute Idee. Leider sind viele gute Ideen so „strategisch“, dass sie nicht mehr in den Betrachtungshorizont der Entscheider fallen. Bei manchen Entscheidern laufen die Verträge nicht mehr lange genug, um in den Genuss der positiven Effekte der Veränderung zu kommen und vorher würde es nur Geld kosten. Also lässt man es. Aber das sind wohl eher Einzelfälle, gell.

 

Wichtiger scheint, dass die Anforderungen an den ROI generell zu kurz sind oder vorher schon so lange nicht investiert worden ist, dass die Veränderung besonders teuer wird und damit der ROI sehr groß wird.

 

Diese Investitionsaversion lernen die Markteinsteiger meistens erst im Laufe ihrer Marktbearbeitung kennen. Gute Ideen, aber nicht umsetzbar wegen der ROI-Anforderungen. In Schönheit sterben. Das ist bitter, weil das ROI-Problem weitgehend nicht von den Anbietern zu vertreten ist.

 

Misstrauen

 

Wir Deutschen sind misstrauisch. Wir haben immer Bedenken von irgendjemandem abgezockt zu werden. Wenn das dann auch noch Unternehmen sind, die neu im Markt sind, ist das ein echter Makel. Wer weiß, ob die nicht morgen schon wieder verschwunden sind. Und dann sitzen wir da.

 

Wir sprechen das nicht aus, aber es schwingt mit. Vertrauen und Glaubwürdigkeit gibt es nicht auf Kredit. Sondern nur durch Referenzen. Und zwar in Deutschland. Eine Referenz in UK oder auf Malta sind schwierig.

 

Glaubwürdigkeit wird aber auch dadurch erhöht, dass relevantes Management in Deutschland sitzt, deutsch spricht und auch die Aktivitäten in Deutsch abgewickelt werden. Das ist oft nicht der Fall und ist kein Indiz dafür, dass man den Markt ernsthaft angehen will.

 

Man kann das ein bisschen verstehen: Bevor das ausländische Unternehmen richtig Geld in die Hand nimmt, wollen Sie wissen, ob es funktioniert. Das ist ein Dilemma: Man weiß nicht, ob die Investition sinnvoll ist, deshalb macht man es auf Sparflamme und erhöht dadurch die Wahrscheinlichkeit des Scheitern.

 

Ein guter Move für ein ausländisches Unternehmen ist immer der Kauf eine lokalen Unternehmens, dass dann als glaubwürdiger Hub für eine langfristige Marktpräsenz dient. Das ist aber in der Regel teuer. Zudem kann das bei produktorientierten Geschäft zu Kopfschmerzen führen: Man hat das Unternehmen als Marktzugang erworben, aber jetzt auch die Produkte, die man selbst ähnlich hat, an der Backe. Das muss man eigentlich sofort zügig bereinigen. Aber da spielen meistens die Kunden nicht wirklich mit. Gelegentlich kommt es auch vor, dass die gekauften Produkte besser sind, als die eigenen. Dann hat man auch noch intern Streit. Die Glaubwürdigkeit ist zwar dadurch erst einmal gegeben, die Nebenwirkungen sind aber erheblich. Und es ist teuer.

 

Deutsche Spezialitäten

 

Kommen wir noch einmal auf das Lokalkolorit zurück. Deutsche Spezialitäten werden oft unterschätzt.

 

RZ-Betreiber aus dem Nicht-EU-Ausland wundern sich regelmäßig, dass es nicht möglich ist, Kundendaten im Nicht-EU-Ausland zu speichern. Sie wundern sich auch gerne darüber mit welcher Akribie sie geprüft werden, welche Zertifikate sie vorlegen müssen und dass sie zustimmen sollen, dass man sie auch vor Ort prüfen kann.

 

Die Regularien sind enorm. KRITIS, ISO 27001, DSGVO, BAIT, MaRisk sind nur einige. Viele davon sind durchaus deutsche Spezialitäten.

 

Bei Software werden regelmäßig die Besonderheiten wie Abgeltungssteuer, aber auch die Integration in das spezifisch deutsche Meldewesen (Wer kennt schon KMV DEP oder KMV FKB) unterschätzt. Das Problem ist nicht „das bisschen Steuern berechnen“ oder „das bisschen Meldewesen anzuflanschen“. Das geht nämlich nicht. Das Problem ist, dass diese Themen in bestehenden Anwendungen ganze Prozessketten verändern. Und das ist in der Regel heftig.

 

Deutschland ist ein Albtraum

 

Die Friktionen konnten hier nur angerissen werden. Es gibt noch wesentlich mehr und sind auch marktsegmentspezifisch.

 

Sie können sich zu einem Albtraum entwickeln. Der deutsche Markt ist nur auf den ersten Blick attraktiv. Beim näheren Betrachten ist er eher unwirtlich wie der Planet Mars.

 

Wer nach Deutschland will, sollte das vorher genau und vor allem ergebnisoffen prüfen. Das sollte man niemals selbst machen, sondern sich helfen lassen. Es gibt im Markt ein großes Spektrum an Erfahrungen, die man fruchtbar machen kann. Das ist billiger als auf die Nase zu fallen. Nicht am falschen Ende sparen. Ansonsten kann das gut gemeinte Engagement gerne mal zu einem echten Fiasko werden.