Ich habe seit mehr als 25 Jahren einen Freund, der einem Unternehmen vorsteht, was ziemlich fortschrittliche Sachen macht. Ich war von Anfang an begeistert und bin es noch.
Das Unternehmen beschäftigt sich ganz überwiegend mit Softwarelösungen für die Anlageberatung. Dabei werden mathematische und statistische Methoden verwendet, die für den Normalsterblichen eher „böhmische Dörfer“ sind. Da ich schon früh und sehr positiv mit mathematischen und statistischen Verfahren in Berührung gekommen bin, habe ich keine spontane Abneigung dagegen. Im Gegenteil: Im Zweifel glaube ich einer Formel mehr als bunten Powerpoints.
Jetzt hat er, mein Freund, mit seinen Leuten wieder einen rausgehauen.
Komplexe Mathematik, bessere Ergebnisse und geringe Akzeptanz
In dem neuen Blogbeitrag wird auf das Grundproblem seiner Lösungen abgehoben und auch ein Ausweg angeboten.
Das Grundproblem ist, dass die mathematischen und statistischen Methoden zu Ergebnissen in der Anlageberatung führen, bei denen der Kunde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erst einmal überrascht ist … und sie nicht nachvollziehen kann. Im Zweifel geht es seinem Berater ebenso.
Dann sitzen Kunden und Berater ziemlich ratlos vor dem Ergebnis. Dem Ergebnis ohne Erklärungskomponente zu glauben, kann man weitgehend vergessen. Es gibt nur noch geringes Vertrauen in das „Kauderwelsch“ von Bankberatern. Und in Maschinen baut sich das Vertrauen erst noch auf. Der entscheidende Punkt ist Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen auch bei komplexen Herleitungen. Nachvollziehbarkeit ist wichtig für das Vertrauen in das Ergebnis.
Erklärungskomponente
Der Lösungsvorschlag ist nun – auch maschinell – diese Erklärungskomponente bereitzustellen, damit sowohl Berater als auch Kunde das Ergebnis nachvollziehen können. Jedenfalls halbwegs.
Die Erklärungskomponente wird in dem Beitrag „Explainable“ genannt und in den Zusammenhang mit Explainable Artificial Intelligence gebracht. Damit wird vor allem verdeutlicht, dass das Erklären von Ergebnissen der mathematischen Modelle echt schwer ist. Das ist nah an Künstlicher Intelligenz.
Es ist natürlich richtig zu versuchen, komplexe Sachverhalten mit Explainables zu hinterlegen. Das macht übrigens auch ein Arzt, der seinen Job ernst nimmt, jeden Tag. Er versucht z.B. dem nicht sachkundigen Patienten in einfachen Worten das Problem und die Behandlung seiner Niereninsuffizienz zu erklären. Er dokumentiert damit seine Kompetenz und schafft Vertrauen des Patienten in seine Behandlungsvorschläge.
Im Grunde genommen kann man im vorherigen Absatz den Begriff Arzt durch den Begriff Anlageberater ersetzen. Das passt dann auch. Na ja, vielleicht auch noch Patient durch Kunde. Aber Patient gefällt mir auch.
Mit Explainables zu komplexen Sachverhalten und Lösungen kann man natürlich Vertrauen schaffen in zunächst nicht nachvollziehbare Lösungen. Das ist ein guter Ansatz. Love it.
Warum nur für Berater?
Eins verstehe ich aber nicht. Es wird hier auf das persönliche Beratungsgespräch abgehoben. Es wird explizit dargelegt, dass die Explainables den Berater vom Robo-Advisor unterscheiden.
Hmmm. Warum kann man einen Robo nicht auch mit Explainables ausstatten? Die Explainables stehen doch auch beim Berater in irgendeiner Form auf dem Bildschirm. Warum nicht auch beim Robo für den Kunden? Lesen kann der Kunde auch selbst.
Das Argument, dass der Berater die Explainables in ein gewinnendes „Narrativ“ packt, ist nicht wirklich schlüssig. Dann wäre die gesamte Digitalisierung nicht logisch. Wenn der Kunde eine Vorliebe für das persönliche Gespräch hat, dann ist das ok. Aber wenn der Kunde es lieber selbst lesen will, dann sollte das auch ok sein.
Deshalb dürfen Explainables nicht das Überlebensargument für Berater sein, sondern ein Argument für eine generell besser akzeptierte Anlageberatung, die auf mathematischen und statistischen Methoden basierend die besseren Ergebnisse bringt als Bauchentscheidungen oder pseudowissenschaftlicher Nonsens.
Explainables in alle Kanäle! Bitte!
Siehe auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%B6hmisches_Dorf
https://de.wikipedia.org/wiki/Explainable_Artificial_Intelligence