Multibank-Aggregation als Schlüsseltechnologie gegen Bedeutungsverlust im Retail Banking?

Ich habe schon in einem früheren Beitrag den Bedeutungsverlust von Banken beschrieben. Als mögliche Gegenstrategie ist die Multibank-Aggregation im Angebot.

 

Versuchen wir das doch einmal zu analysieren. Wichtige Bemerkung vorweg: Alles weitere bezieht sich auf das Retail Banking.

 

Die alte Idee: Girokonto = Hausbank

 

Viele Bankhäuser verfolgten und manche verfolgen noch immer die Strategie, sehr aggressiv mit Girokonten zu wachsen. Dahinter steht die Idee, sich damit den Zugang zum Gehalt und den vollständigen Transaktionsdaten zu sichern. Mit dem Gehaltskonto geht dann die Idee des Status als Hausbank einher. Die Idee der Hausbank besteht darin, dass man das erste Zugriffsrecht bei Cross-Selling-Potenzialen hat. Vertriebstechnisch ist das eine verlockende Aussicht: Girokonto = Hausbank = Kundenausschöpfung.

 

Diese Idee ist schon lange ausgeträumt. Ein starkes Indiz ist, dass die Anzahl der Girokonten doppelt so hoch ist, wie die Anzahl der Konten, die wirklich Gehalts- oder Pensionseingänge haben.

 

Das Jahr 2015

 

Das Jahr 2015 ist ein Kulminationspunkt von diversen Entwicklungen, die den heutigen Status zum Thema Multibank-Aggregation maßgeblich beeinflusst haben.

 

Die ersten FinTechs waren am Markt und mischten mit unorthodoxen Methoden die Szene auf.

 

Da waren zunächst die so genannten PFM-Software-Anbieter. Namen wie meniga, strands und IND, aber auch Buhl waren in aller Munde. Die Grundidee der PFM-Software-Anbieter war es die gesamten Finanzen eines Menschen oder einer Familie in einer App zusammenzuziehen und sie geschickt auszuwerten und Empfehlungen zu geben, was man besser machen könnte. Damit haben wir auch gleich verstanden, was Multibank-Aggregation ist. Genau das.

 

Elementare Voraussetzung dafür waren Softwarebausteine, die es möglich machten auf die Transaktionen und Bestandsdaten von Kunden zuzugreifen. Da die Banken keine offenen Schnittstellen dafür zu Verfügung stellten – schon gar nicht für Softwarehersteller oder für andere Banken – musste eine kreative Lösung her.

 

Screen Scraping hieß sie. Das waren Programme, die ein Login in eine Online Banking Website einer Bank durchführen und dann dort die Informationen abgreifen. Sie simulieren programmtechnisch Eingaben und Mausklicks des Benutzers und lesen die Daten aus den entsprechenden Feldern aus und speichern sie ab. Natürlich mussten die Benutzer dafür ihre Credentials mitgeben.

 

Das war auch die erste Hochzeit der so genannten Zahlungsauslöser wie sofortüberweisung. Die nutzen das Web Scraping nicht, um Transaktionen einzusammeln, sondern um sie durchzuführen. Aber das war schon klasse. Man konnte Sofortüberweisung auf einer Website integrieren und bei einem Kauf direkt bezahlen lassen. Für den Händler war das ziemlich cool. Er konnte sicher sein, dass er sein Geld bekam.

 

Aber „sauber“ war das ja nicht. Der Zugriff mit Hilfe der Credentials der Bankkunden war ein echtes Sicherheitsproblem. Und das Auslösen von Zahlungen durch Nichtbanken, das kann nicht richtig sein, sagte man. Und außerdem: Da nutzten irgendwelche pfiffigen Dienstleister kostenfrei die Infrastruktur von Banken, um Geld zu verdienen. Das kann es doch auch nicht sein.

 

Parallel zu diesen Entwicklungen wurden die Regulatoren aktiv, um das wieder einzufangen. Hatten am Anfang der eine oder andere gehofft, dass die Regulatoren das verbieten würden, wurde doch schnell klar, dass man den Kunden nicht per se verbieten wollte seine Daten zu nutzen, wie er es für richtig hielt. Heraus kam PSD2 oder auch Zahlungsdiensterichtlinie. Angestoßen von der EU 2015 wurde sie bis 2018 umgesetzt. PSD2 stellt nun sicher, dass die oben genannten Dienste auch angeboten werden dürfen, haben aber auch dazu geführt, dass Zahlungsdienste reguliert und überwacht werden.

 

Heute

 

Mit diesem EU-Segen war es nun möglich, dass alle Banken Multibank-Aggregation ohne Friktionen anbieten konnten.

 

Heute im Jahr 2020 tun es auch fast alle. Open Banking heißt das. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Nichtbanken, die das auch anbieten. Mein Lieblingsbeispiel ist Check24. Das Vergleichsportal ist auch Zahlungsdienstleister und PFM-Anbieter. Mit dem Kontomanager kann man alle seine Girokonten bei allen Banken an einer Stelle bündeln. Außerdem kann von allen Konten aus Überweisungen tätigen.

 

Wie bei jedem PFM werden die Umsätze kategorisiert. Ich kann dabei locker abfragen, wie viel mich die ganzen Mobilfunkverträge für meine Familie kosten, weil mir die Kategorisierung das sofort anzeigt. Eine andere Funktion zeigt mir auf Basis meiner Umsätze alle Verträge an, die ich über Check24 optimieren könnte. Dabei muss das System so schlau sein, dass es aus den Transaktionen abschätzen kann, um welche Art von Vertrag es sich handelt, weil es mir auch Vertragsdetails anzeigt. Und die stimmen.

 

Wenn man die Situation von heute zusammenfasst, kann man folgendes festhalten:

 

  • Die Anzahl der Marktteilnehmer hat zugenommen. Neben den Banken dürfen nun auch Zahlungsdienstleister Multibank-Aggregation machen. Es gibt auch schon reichlich davon, die sich aufgrund der Daten, die sie dadurch erhalten für ihr eigenes Geschäftsmodell Vorteile versprechen. Siehe das Beispiel Check24.
  • Wenn es alle Banken anbieten, dann wird sich für eine einzelne Bank kein Vorteil ergeben. Ein Teil ihrer Kunden wird sich für die Aggregation bei der Bank entscheiden, die anderen woanders oder gar nicht. Eine Killertechnologie ist es nicht.
  • Es ist auch nicht naheliegend, dass die Kunden die Aggregation bei Banken durchführen wollen. Sie haben ihre Konten ja genau aus dem Grund auf mehrere Banken verteilt, weil sie ihre Finanzen „verschleiern“ wollten. Es ist nicht plausibel, dass sie sie jetzt wieder bei einer Bank zusammenführen sollen, nur weil es geht.
  • Dieses Argument gilt zwar eingeschränkt, aber analog auch für die Check24 dieser Welt. Bei denen ist es sonnenklar, dass sie die Daten für ihr Geschäftsmodell nutzen wollen. Aber dort ist das besser dem Kunden zu vermitteln, dass das Sinn macht. Immerhin leistet das Vergleichsportal mit den Daten tätige Lebenshilfe, in dem es auf ungünstige Verträge für Strom, Gas, Telefonie, Internet, und Versicherungen aufmerksam macht, Urlaubsreisen und Handwerker und vollumfänglich Bankdienstleistungen vermittelt.

 

Wenn man sich das so anschaut, dann bewirkt diese Aggregationsmöglichkeit und die Möglichkeit Zahlungsdienste außerhalb der Bankenwelt anzubieten eher das Gegenteil. Banken werden reduziert auf einen Infrastrukturanbieter und Kontobereitsteller, der Zahlungen möglich macht.

 

Selbst wenn Banken durch die Aggregation alle Daten eines Kunden hätten, ist es ein weiter Weg die Fähigkeiten wie andere Spieler zu entwickeln, mit diesen Daten sinnvollen Nutzen zu stiften. Dazu müssten die Banken nicht nur viel Geld in Big Data investieren, sondern – viel wichtiger – realen Nutzen stiften über den Verkauf von Finanzprodukten hinaus. Dazu müssten sie ihr Geschäftsmodell komplett verändern.

 

Open Banking schwächt also die klassischen Banken. Open Banking ist eine weitere schlechte Nachricht für den einstmals doch stark geschützten Bereich des Banking, weil andere dort jetzt einbrechen und Teile der Wertschöpfung abgreifen. Und die Banken tun sich schwer mit einer für die Kunden nutzenstiftenden Gegenstrategie.

 

Siehe auch:

 

https://www.oliverwyman.de/content/dam/oliver-wyman/v2-de/publications/2018/Mai/201805_OliverWyman_Multibanking_POV.pdf

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Zahlungsdiensterichtlinie#%C3%9Cberarbeitete_Zahlungsdiensterichtlinie_(PSD2)

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Screen_Scraping

 

https://www.buhl.de/finanzblick/

 

https://www.klarna.com/sofort/

 

https://www.meniga.com/

 

https://strands.com/