Portale des Lebens (4)

 

In den ersten drei Teilen habe ich herausgearbeitet, dass die Bedeutung der Banken im Lebensportal der Menschen stetig zugenommen hat. Um das Jahr 1990 herum war die (analoge) Beziehung von Bank und Kunde auf dem Höhepunkt.

 

Alles hätte so weitergehen können. Das war aber nicht der Fall. Es gab regelrechte Brüche in der Entwicklung der gesamten Welt, insbesondere technische.  Damit begann die Zeit der digitalen Portale des Lebens. Bis 2020 sind diese Portale allerdings weitgehend Fragmente, weil sie den Prozess des Lebens der Menschen noch nicht aus einem Guss unterstützen. Dieses Thema wird im fünften Teil dieses Beitrages ausführlich dargelegt.

 

Bis 2020 – Digitale Fragment-Portale

 

Als erster Bruch ist der Mobilfunk zu nennen. Der wirkliche Durchbruch dieser Technologie konnte mit dem D-Netz Anfang der 90er-Jahre erreicht werden. Das Netz war digital und nicht analog. Durch diese Entwicklung und durch gewaltige Investitionen wurde das kabellose Telefonieren zu einem Konsumgut.

 

Praktisch parallel kam das World Wide Web (WWW) dazu und dazu das zentrale Vehikel des Browsers: Der Browser wurde zum zentralen technischen Zugriffpunkt für das WWW. Der Browser ist das erste, noch weitgehend leere Portal der Digitalisierung.

 

Mobilfunk und WWW wuchsen zügig zusammen zu dem heutigen Zustand. Mobile Webzugriffe über Apps oder telefonieren mit dem Laptop.

 

Natürlich wurden diese Technologien auch zügig für das Leben fruchtbar gemacht. Man muss sich das mal vor Auge halten: amazon wurde 1994 gegründet, ebenso yahoo!. Google sogar erst 1998. Und was haben diese Unternehmen in ihrem kurzen Dasein alles verändert.

 

Handelsstufenkiller

 

Während yahoo! und Google als Navigationshilfen für das WWW konzipiert sind, ist amazon der Bekannteste, der massiv von der Idee Gebrauch machte, die Handelsstufe in der Wertschöpfungskette von Produktion zum Verbraucher digital zu organisieren. amazon griff damit zunächst den Buchhandel an, bevor es das Modell in andere Bereiche kopierte. Andere, wie Apple mit dem iPod, griffen den Musikhandel erfolgreich an.

 

Mittlerweile gibt es seit 20 Jahren im Deutschen Aktienindex kein klassisches Handelsunternehmen mehr. Alle wegdigitalisiert.

 

Stammtisch im WWW

 

Social Media kam erst viel später. Facebook wurde 2004 gegründet. Damit war der Stammtisch jetzt global und – leider auch – relevant. Aber auch der belanglose Austausch von belanglosen, aber netten Sachen. Der Janus-köpfige Charakter von Social Media wird eine der größten Herausforderungen für die gesellschaftliche Entwicklung auf der Welt. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Banalisierung von Technologie

 

Das erste Smart Phone wurde 2007 von Apple auf den Markt gebracht. Das war der endgültige Durchstartpunkt der Mobilität. Das wirklich geniale ist dabei die brachiale Simplifizierung von Technik. Jeder Depp kann ein Smart Phone bedienen und nutzen. Technik wird zu einer Banalität. Höflicher ausgedrückt: Ergonomie und UX sind Killerfunktionen.

 

Portalfragmente als digitale Fußgängerzone

 

Es gibt fast nichts mehr, was man nicht digital machen kann. Selbst dort, wo man eine Identifikation braucht, gibt es mittlerweile digitale Lösungen.

 

Jeder hat heute auf seinem Mobiltelefon Portalfragmente, bestehend aus Kacheln (Apps). Manche haben sie sortiert, bei anderen ist Chaos. Jeder, wie er es mag. Aber alles fragmentarisch. Es gibt Anbieter, die auf dem Weg sind, Portalfragmente zu wirklichen Portale des Lebens zusammenzufassen. Das gelingt bisher nur partiell.

 

So ist amazon für weite Teile des Konsums mittlerweile als zentrales Portal konzipiert. Man kann praktisch alles kaufen. Vom Buch über die Waschmaschine bis zur Erotik-Wäsche. Frische Lebensmittel gibt es mittlerweile auch. Filme und Musik sowieso.

 

Dabei ist amazon ein Hybrid aus einem Produzenten von Produkten und einem Händler. Aber der Handel überwiegt. Zudem bietet amazon die Variante, dass andere Händlern oder Produkthersteller die Plattform gegen Entgelt für sich selbst nutzen können. Beiden Parteien ist damit gedient: amazon kann Vielfalt präsentieren und die Händler/Produkthersteller haben einen liquiden Markt: amazon hat sich durch seine schiere Dominanz eine Relevanz erarbeitet, dass jeder dort im Internet-Kaufprozess vorbeikommt.

 

Ein anderer Anbieter mit Lebensportalansatz ist check24. Als Vergleichsportal begonnen, werden dort mittlerweile alle Vergleichsprodukte auch vermittelt. Und die Produkte haben eine gewisse Lebensrelevanz. Das geht über Energie, Telefon- und Internet, Reisen, alle Arten von Finanzdienstleistungen bis hin zu Handwerkervermittlung.

 

Zusätzlich übernimmt Check24 Beratungsfunktionen. So kann man z.B. seine Versicherungsverträge von den Versicherern hochladen lassen. Man wird dann auf Kündigungstermine, Termine zu auslaufenden Verträgen und besseren Konditionen hingewiesen. Außerdem ist dort ein Personal Finance Management verfügbar, mit der Check24 wiederum Produkte identifiziert, die nicht vorteilhaft sind.

 

Social-Media-Kanäle wie Facebook oder Twitter dagegen sind über die Kakophonie der meinungsstarken Kurzkommunikation nicht hinausgekommen. Was sie aber erreicht haben ist, dass jeder noch so gehaltvolle und noch so dumme Ausspruch ein weltweites Publikum finden kann. Immerhin. Aber als Lebensportale sind sie nicht geeignet, sondern nur ein wichtiger Ausschnitt des Lebens spielt sich hier ab.

 

Wenn man die heutige Situation mit den damaligen Fußgängerzonenportalen vergleicht, dann ist die Situation heute ähnlich wie damals. Der Unterschied: Der Mensch bekommt nicht mehr die Fußgängerzone vorgesetzt, sondern jeder definiert sich seine eigene durch die Kacheln auf seinem Mobile oder durch die Favoriten in seinem Browser.

 

Zur täglichen Übung gehört dann der Durchmarsch durch die Kacheln, die einen intensiver als die anderen. Manche selten, andere gar nicht. An der Intensität der Kachelnutzung kann man die Relevanz für Menschen festmachen. Je öfter und länger eine Kachel genutzt wird, desto relevanter.

 

Jeder lebt heute also in seiner elektrifizierten Fußgängerzone damaliger Couleur? Nicht ganz. Es gibt einen wichtigen Unterschied.

 

Zerstörung von tradierten Wertschöpfungsketten

 

Die Elektrifizierung alter Gewohnheiten würde ja bedeuten, dass die digitale Fußgängerzone immer noch weitgehend vergleichbare Schwerpunkte hat wie damals. Das ist nicht der Fall. Warum? Weil die Digitalisierung nicht nur eine Elektrifizierung alter Gewohnheiten ist, sondern auch Wertschöpfungsketten neu definiert.

 

Wenn man früher eine Waschmaschine kaufen wollte, dann musste man den Prozess selbst organisieren. Als erstes Stiftung Warentest lesen, mit Freunden sprechen, rumlaufen in Geschäften, nervige Verkäufer abschmettern, nicht genug Geld haben, Hausbank nach Kredit fragen, kaufen, nach Hause liefern lassen, aufbauen und dann – endlich – waschen.

 

Heute übernimmt Google das Finden der richtigen Waschmaschine in Minuten, die preisgünstigste und am schnellsten lieferbare ebenso. Der Kaufprozess beim besten Anbieter ist dann ein Klick und die Vermittlung des Kredits direkt beim Kauf ein zweiter. Lieferung ist eh immer dabei.

 

Finden-Prozesse sind durch die Digitalisierung völlig neu definiert worden. Sie kosten praktisch nichts mehr, weder in Zeit noch in Geld. Und es herrscht vollständige Transparenz.

 

Desintegration der Banken

 

Banken sind von dieser Neudefinition der Wertschöpfungsketten besonders negativ getroffen.

 

Zunächst einmal ist ihr Geschäft weitgehend nicht haptisch und vom persönlichen Kontakt nicht mehr abhängig. Bis auf Bargeld und die Kreditkarte kann man Bankprodukte nicht anfassen. Und auch für diese Produkte hat man Wege gefunden, dass die Menschen sie ohne physischen Kontakt zur Bank in Anspruch nehmen können. Geldautomaten übernehmen die Bargeldversorgung und die Karten kommen per Post.

 

Auch alle anderen Produkte benötigen keine persönliche, physische Interaktion. Selbst die Kontoeröffnung geht online.

 

Auch die persönliche Beratungskompetenz des Bankers ist hinfällig. Das Netz weiß viel mehr als der beste Berater. Und die Kunden haben auch aufgerüstet. Sie wissen heute mehr über Finanzen als noch vor 20 Jahren und fühlen sich sicher, dass sie selbst am besten wissen, was gut ist. Und schlussendlich ist das Vertrauensverhältnis zu den Beratern nachhaltig gestört. Da heute eine hohe Transparenz zu den Produkten herrscht, haben die Leute gemerkt, dass die Banken ihnen in den alten Zeiten unvorteilhafte Produkte angedreht haben und es auch heute noch probieren.

 

Noch viel schwieriger ist, dass in den realen Prozessen des Lebens die spiegelbildlichen Finanzprozesse heute weitgehend uno actu ablaufen. Der Kredit wird beim Autokauf direkt mit abgewickelt. Der Autohändler ist der Banker.

 

Auch der Bezahlprozess beim Einkauf ist weitgehend bankenneutral. Wenn man bei amazon auf „Kaufen“ klickt, dann ist der Bezahlprozess, wie der Versandprozess gleich mit erledigt.

 

Sollte man dann tatsächlich auch mal ein reines Finanzprodukt brauchen, dann sucht man die beste Variante in einem Finanzportal und schließt dort auch den Vertrag ab.

 

Es findet eine Desintegration der Finanzprozesse von der eigentlichen Bank weg statt. Früher saßen die Banken wie eine Spinne im Netz der Portale des Lebens. Jetzt verlieren sie ihre Vertriebs- und Betreuungsfunktion fast vollständig und damit ihre Touchpoints zum Kunden. Sie rutschen damit in den Hintergrund. Sie verlieren im Leben an Relevanz. Mit anderen Worten: Die Kachel der Bank rutscht auf den fünften Bildschirm des Phone. Dahin kommt man eigentlich nie.

 

Die Banken werden zu einem Hintergrundprozess. Dieser funktioniert geräuschlos. Kein großes Ding.

 

Das ist natürlich mit dem Selbstverständnis von Banken in keiner Weise vereinbar. Daran haben Sie schwer zu knabbern.

 

Und was ist mit Direktbanken?

 

Die Direktbanken haben sich in diesem Prozess nur Zeit gekauft. Sie sind im wesentlichen elektrifizierte klassische Banken. Es ist zwar schön, dass sie preiswerter sind, weil sie keine Filialen haben, aber ansonsten leiden sie unter dem gleichen Bedeutungsverlust wie klassische Banken.

 

Selbst die als so genannte FinTechs antretenden Unternehmen wie N26 sind oft nur elektrifizierte klassische Banken. Sie sind oft schneller, witziger, eleganter, hipper. Aber eine Überweisung ist eine Überweisung. Punkt.

 

Einige FinTechs definieren sich als bankübergreifende Produktportale mit Servicefunktionen. Das ist ein erster Schritt, Finanzdienstleistungen neu zu definieren. So sind die Festgeldportale wie raisin oder Zinspilot in der Tendenz eine Neudefinition des Prozesses, der auch eine gewisse Relevanz hat.

 

Bedeutungsverlust im Portal des Lebens

 

Alles in allem kämpfen die Banken, egal ob Filial- oder Direktbank oder FinTech, mit einem Bedeutungsverlust. Durch die Digitalisierung haben andere Themen mehr Relevanz für die Menschen gewonnen. Soziale Medien, Spiele, Musik, Videoschnipsel, aber auch ernsthafte Information sind heute Schwerpunkte des täglichen Lebens. Und der friktionsfreie Konsum. Von der Idee etwas zu kaufen bis zur Ankunft im eigenen Heim dürfen maximal 24 Stunden vergehen.

 

Notwendige Bankprozesse sind heutzutage bei vielen Themen im Leben geräuschlos und unscheinbar integriert. Das war früher anders. Bezahlprozesse sind heute so stressfrei, dass man sie meistens gar nicht bemerkt.

 

Und wenn dann doch mal ein Bankprodukt explizit nachgefragt ist, dann ist nicht die Bank gefragt, sondern das Vergleichsportal. Die Bank ist egal.

 

Das sind schwere Zeiten für eine erfolgsverwöhnte Branche und ein Weg raus aus der Malaise ist irgendwie nicht in Sicht.

 

Siehe auch:

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Mobiltelefon

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Internet#Ab_1989_Kommerzialisierung_und_das_WWW

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Amazon

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Facebook

 

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.konkurrenz-durch-big-techs-bafin-warnt-banken-vor-bedeutungsverlust.1ebffd8a-51e1-4e29-9ba4-d4dc2ad34efa.html

 

https://www.oliverwyman.de/content/dam/oliver-wyman/v2-de/publications/2018/Feb/2018_Bankenreport_Deutschland_OliverWyman.pdf