Portale des Lebens (3)

Zum Gesamtverständnis bitte den ersten Teil und den zweiten Teil des Betrags lesen.

 

Bis 1990 – Fußgängerzonenportal

 

Im zweiten Teil des Beitrags haben wir uns der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis ungefähr 1965 gewidmet. In diesem Beitrag geht es um den Zeitraum von ca. 1965 bis ca. 1990.

 

Das war eine Zeit der starken Veränderung der Portale des Lebens.

 

Wohlstand und Konsum

 

Der Zeitraum bis 1990 ist nicht gewählt, weil er einen großen Punkt in der deutschen Geschichte markiert, die Wiedervereinigung. Nein. Er wurde gewählt, weil ab 1990 durch rasante technologische Entwicklungen ein neuer Zeitabschnitt einsetzte. Aber dazu im vierten Teil der Beitragsreihe.

 

Die Jahre bis 1990 waren – trotz der Ölkrise und Stagflationszeit in den 70er-Jahren – eine Zeit wachsenden Wohlstands. Das so genannte Bruttoinlandsprodukt stieg von 4.000 Euro (1965) auf 22.000 Euro (1990) pro Kopf. Das ist eine steile Kurve nach oben.

 

Dieser breite Wohlstand schlug sich auch in den Lebensportalen der Menschen wieder. Mit zunehmenden Einkommen werden auch die Wünsche vielfältiger, größer, intensiver. Konsum!

 

Um dem gerecht zu werden, wurden die Innenstädte groß umgestaltet. Das Zauberwort heißt „Fußgängerzone“. Damit war die Verbannung von Autos aus den Geschäftsstraßen der Innenstädte gemeint. In den Fußgängerzonen wurden die Schwerpunkte des Lebens der Menschen konzentriert zu Lasten der alten Perlenschnurportale präsentiert.

 

Die Menschen sollten in den Fußgängerzonen an den Geschäften vorbeiflanieren können, ohne dass Autos – fahrend oder parkend – diesen Genuss stören. Durch das Flanieren wurde auch das ziellose Bummeln (auch Schaufensterbummeln oder – norddeutsch – butschern) en vogue. Man fuhr einfach mal in die Stadt und ließ das mal alles auf sich wirken. Für die Jugend war das eine gängige Freizeitbeschäftigung.

 

In die Stadt fahren geht nur, wenn man mobil ist. Fahrräder waren zwar immer noch beliebt, aber besser waren natürlich Mofas, Mokicks, Autos oder auch öffentliche Verkehrsmittel. Sicher war der Individualverkehr mit dem Auto das beliebteste Verkehrsmittel, aber auch die Öffentlichen wurden stark ausgebaut. Takte wurden erhöht, Strecken ausgebaut und Verbünde gegründet, um auch mal in die nächste, weiter entfernte Stadt ohne Auto zu kommen.

 

Das ist natürlich nur eine Auswahl. Aber eins zeichnet die Veränderungen aus: Viele Dinge gingen von „zweckmäßig“ zu „formschön“. Auto, Wohnungseinrichtung, Kleidung, Ernährung usw.

 

Auch der Handel war großen Veränderungen unterworfen. Zwar waren die kleineren Einzelhändler in den Innenstädten noch existent, aber die großen Warenhauskonzerne wurden im Schlepptau der Fußgängerzonen langsam zu einer Bedrohung. Warenhäuser waren sozusagen die Fußgängerzone in der Fußgängerzone.

 

Wer ein Auto hat, hat keine Restriktionen mehr bei der Menge des Einkaufs. Der Einkauf muss ja nicht mehr geschleppt werden, sondern einfach im Kofferraum nach Hause transportiert werden. Und ein Kofferraum ist geräumig. Supermärkte auf dem platten Land mit großen Parkplätzen waren geboren.

 

Die lokalen Perlenkettenportale zerbrachen fast vollständig. Heute sind dort Dönerbuden, Nagelstudios, Sonnenstudios und andere kurzlebige Veranstaltungen.

 

Und die Banken

 

Finanzdienstleistungen sind auch immer ein Abbild der Dynamik der realen Welt. Wenn die Menschen mehr Geld haben, als sie ausgeben wollen, dann wird gespart. Wenn die Wünsche größer sind, als die aktuellen Möglichkeiten, dann werden Kredite interessant. Das wurde in der Fußgängerzonenzeit relevant und schlug sich auch nieder.

 

Außerdem wurden erste große Schritte weg von der fast reinen Bargeldwirtschaft gemacht. Löhne und Gehälter wurden fast flächendeckend nur noch bargeldlos ausgezahlt. Das bedeutete, dass jeder Arbeitende ein Konto brauchte. Dann musste der Kontoinhaber das Sichtguthaben auf dem Konto wieder in Bargeld umtauschen, um das tägliche Leben zu leben. Also musste er zur Bank, an den Schalter und Geld abheben. Die Kontaktfrequenz erhöhte sich.

 

Das wurde dann ein bisschen anders als der eurocheque geboren wurde. Da konnte man etwas größere Anschaffungen auch mal unbar bezahlen. Regelmäßige Rechnungen, wie die für Telefon oder Strom, beglich man zunehmend unbar mit Überweisung. Dazu musste man aber auch zur Bank, um die kleinen Überweisungszettel reinzureichen.

 

Aber auch erste Themen zur Geldanlage standen nun zur Debatte: Bausparen war eigentlich Standard. Vorsorgen durch Lebensversicherungen eigentlich auch. Aber auch der Vermögensaufbau durch Fonds wuchs kräftig.

 

Auf der anderen Seite war die Konsumungeduld doch manchmal größer als die eigenen Möglichkeiten und deshalb wurde die Frage nach Konsumkrediten relevant: Autokauf, Farbfernseher oder Möbel waren so die Themen. 

 

Banken griffen das natürlich auf. Ihre Produkte wurden auf diese Bedürfnisse weiterentwickelt. Um auch für die Kunden da zu sein, wurde massiv in die Vertriebsstrukturen investiert. Das heutige Filialwesen ist nur durch diese Zeit erklärbar. Die Filialen der Banken schmiegten sich voll in das Fußgängerzonenportal ein. Sie waren physisch sichtbar, aber sie waren auch sehr relevant. Eine hoher Kontaktfrequenz wurde durch die Zeit und die Umstände erzwungen. Die Banken wurden zum Schmiermittel für das realen Leben der Menschen. Ohne diese auch physische Präsenz durch Filialen der Banken wäre das alles nicht möglich gewesen. Es gab keinen anderen Weg.

 

Im Portal des Lebens zu dieser Zeit waren die Banken nicht wegzudenken. Ohne sie ging nichts. War die Bank früher eine exotische Erfahrung, dann war sie jetzt eine tägliche Erfahrung. Sie war auch nicht mehr von Ehrfurcht geprägt, sondern von Vertrauen.

 

Vertrauen war für das Verhältnis Bank und Kunde extrem wichtig. Die Menschen sind ja quasi vom Wohlstand überrollt worden. Sie hatten gar keine Möglichkeit sich die Mechanismen der Finanzen mit Zins und Zinseszins, Annuität, Rendite, Benchmark usw. anzueignen. Deshalb war das Vertrauen in das Fachwissen von Bankmitarbeitern lange eine tragende Säule des Erfolges, denn wenn man jemandem vertraut, dann ist das ein stabiles Fundament für Relevanz.

 

Vertrauen wurde aber auch schon damals missbraucht. Missbrauchen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Nutzung der unvollkommenen Markttransparenz ist besser. Es war damals unmöglich mit halbwegs vertretbaren Aufwand Preis- und Leistungsvergleiche mit anderen Banken als der eigenen Bank durchzuführen. Das ist ein wesentlicher Grund für das sich entwickelnde Hausbankprinzip. One-Stop-Shopping. Die Banken konnten ohne den Druck des Wettbewerbs quasi abverkaufen und den Kunden ausschöpfen. Man muss auch sagen, dass die Kunden sich in der Regel nicht schlecht dabei fühlten. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß.

 

Goldene Zeiten für die Banken im Portal des Lebens. Relevant. Präsent. Gemocht. Erfolgreich. Dann kam auch noch die Sonderkonjunktur nach der Maueröffnung. Wirklich goldene Zeiten.

 

Das sollte sich nach 1990 ändern. Das Ende der Fußgängerzonenportale kam heftig. Auch bei den Banken war der erste rostige Nagel im Fleisch des Erfolgs gesetzt: Der Geldautomat.

 

Aber dazu mehr im vierten Teil der Saga.

 

Siehe auch:

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fg%C3%A4ngerzone

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstand#Wohlstand_in_Deutschland

 

https://nordkind.blog/unser-norden/plattdeutsches-woerterbuch-butschern

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Eurocheque

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Bankstellendichte